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Hauptausstellung

Samstag, 21. Oktober 2023–Sonntag, 17. Dezember 2023

«Super Fabula» von Damyan Damyanov

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Der bulgarische Künstler Damyan Damyanov zeigt Comics und Illustrationen aus berühmten Literatur-Klassikern für Kinder und Erwachsene, die er seit zwei Jahrzehnten visuell begleitet. Dabei geht es um das Verständnis der Welt als Verkörperung der Phantasie, um das Erschaffen einer eigenen Fabula, nicht im linguistischen Sinne als die Gesamtheit der Ereignisse einer Erzählung in ihrer logischen und auch zeitlichen Verknüpfung, sondern in der ursprünglichen lateinische Bedeutung als Spiel, ein freies Nebeneinanderstellen von Blickpunkten und Welten. Die Zeichnung wird zu einer neuen Sprache, die die präverbale Welt beschreibt. Die eigene Super Fabula ist der Endgegner des Chaos.

«Die Vorstellungskraft darf nicht zu lange an einem Ort sitzen. Sie soll regelmäßig gestört werden.» – Damian Damyanov (1982, lebt und arbeitet in Sofia, Bulgarien) ist Künstler, Grafiker und Assistenzprofessor für bildende Künste. Seit 20 Jahren wirkt er als Buchdesigner bei diversen Verlagen, mit mehr als 1000 Buchprojekten in seinem Portfolio. Seine künstlerische Entwicklung verläuft hybrid in mehrere Richtungen: Buchgestaltung, Comic, Grafik, Plakat, Kalligraphie, Aquarell, Animation, immer dem Experiment nach, mit Humor und sozialer Kritik als rote Fäden, manchmal sogar buchstäblich.

Die literarische Verortung der Ausstellung unternimmt die bulgarische Schriftstellerin und Journalistin Petja Heinrich.

Eröffnung der Ausstellung am 21.10 um 17:00;
Literarische Verortung um 17:30

LITERARISCHE VERORTUNG* DURCH PETJA HEINRICH

 

Hier stehen wir nun als Insekten, dem existenziellen Papierrascheln der Illustrationen ausgeliefert.

1. Insektenlandung…

 … auf der abgeflachten Zunge eines kiwifarbenen Hundes.

Der Name des Hundes ist Roska.

Wer erinnert sich an Oma Ginas Hund Roska in einem kleinen Bergdorf auf dem Balkan?

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Literarische Verortung zur Ausstellung SUPER FABULA (Damyan Damynanov)

21. Oktober  – 17. Dezember 2023



 

21.10.2023

Es gibt keine Kunst ohne das Vergnügen

von Petja Heinrich



 

Die Galerie ist ein Buch, und wir treten auf seine Seiten. Wir wachsen, wir werden wie bei Kafka verwandelt, wir schrumpfen, ganz allgemein sind wir mit Körper und Geist all jenen Tricks unterworfen, die in der Literatur und in der Kunst möglich und einfach zu machen sind. 

 

Hier stehen wir nun als Insekten, dem existenziellen Papierrascheln der Illustrationen ausgeliefert. Das Gehen auf den Seiten mit sechs Gliedern ist eine Art neue Musik, eine Bildermusik. Ein Knarren ist zu hören und sehen, das Klopfen von Insektenschuhen auf Pappe, das trockene Kratzen einer scharfen Mandibel auf einer gespannten Schnur, die eine Violinsaite sein könnte. Wir leben in einer Geschichte, in der wir uns unter dem Arm eines ungezogenen Kindes verstecken können, hinter dem Knie von Verliebten kriechen, die Kurven eines Feuerwerks in einen Himmel aus Tinte hinabsteigen, auf der heraushängenden Zunge eines kiwifarbenen Hundes landen.

 

Wegen ihrer überzeugenden Fülle gehört die Erde ihnen. Etwa 60% der Tierarten sind Insekten, und etwa eine Million von ihnen sind uns noch unbekannt, abgeschnitten von uns in irgendeinem Insektenparadies in unzugänglichen Dschungeln, unter Baumrinden, in Wurzeln oder hoch in den Baumkronen, unter nie umgedrehtem Steinen. Sie scheinen von den ersten Impulsen des Lebens aus den Kindertagen des Planeten zu sprechen, die uns in Form einer Mücke im Herzen des Bernsteins erreichen. 

 

Die Biene ist ein süßer Impuls zu Beginn des zivilisatorischen Prozesses. Die Wespe stirbt in den Tiefen der Feigenfrucht. Die Libelle, eines der ältesten Insekten der Erde, erfindet die Poesie im Rückwärtsflug. Zikaden sind Musen mit blutleeren Körpern und singen die ewigen Hymnen der griechischen Antike, die in die Lieder der provenzalischen Troubadoure einfließen; im alten China wurden kleine Zikadenfiguren aus Jade auf die Zunge der Toten gelegt, um sie zu neuem Leben zu führen; die amerikanischen Ureinwohner glauben an die Unsterblichkeit des Insekts. Biblische Heuschreckenhorden nagen sich durch den schweren goldenen Weizen und prophezeien Pestilenz und das Ende. Eine hundertjährige sprechende Grille lebt im Haus von Meister Geppetto und wird zum lebenden Gewissen von Pinocchio, der in seiner Wut einen Hammer auf sie schleudert und sie zerquetscht. Eines Morgens wacht Gregor Zamza nach unruhigen Träumen auf und findet sich in seinem Bett zu einem ungeheuerlichen Ungeziefer verwandelt. Und an seinem Posten wartet das ewige Glühwürmchen (малката светулка, на щуреца булка) mit einer Laterne in der Hand darauf, uns aus der Finsternis der Kindheit zu führen. Schmetterlinge, Kakerlaken, Mistkäfer, Tausendfüßler, Spinnen, Mücken, Stinkkäfer... 

 

Sie haben uns immer und überall begleitet. Klein für unsere Größe und unser Auge, scheinen sie nach unseren Vorstellungen von Raum keinen Platz zu beanspruchen. Dabei ziehen die vermeintlich Unscheinbaren bis heute mit brummender Beharrlichkeit ihre Fäden durch die Literatur.

 

Das Buch ist eine Unendlichkeit auf endliche Anzahl von Seiten. Unser Gehen auf den Seiten ist eine Sprache, die, wie jede Sprache, eine unendliche Anzahl von Geschichten hervorbringen kann. Unsere Einstellung zu dem, was hier und jetzt geschieht, ist gewissermaßen insektenhaft. Wir lesen nicht; das Lesen ist menschlich. Wir ernähren uns vom Buch, wir fressen seinen Körper, das ist das wirkliche Lesen. Die chaotische Mundwerkbewegung zwischen den Illustrationen ist die Geschichte jenseits der Geschichte, eine SUPER FABULA. 

 

1. Insektenlandung…

 … auf der abgeflachten Zunge eines kiwifarbenen Hundes.

Der Name des Hundes ist Roska.

Wer erinnert sich an Oma Ginas Hund Roska in einem kleinen Bergdorf auf dem Balkan? 

Wie wir im Maitau durch Oma Ginas Garten laufen, altes Brot für den Hund mitbringen und Münzen, um von Oma Gina Eier zu kaufen. Und Roska kommt uns entgegen, bellt erst ängstlich und erkennt uns dann – Kinder, neu wie das Gras, wir rufen sie: Roska, Roska... Erster Fell der Kindheit. Aber Roska ist kein Kuschelhund, sie schaut streng und sieht aus wie jemand in einem grauen Anzug, der einen dringenden Auftrag hat. Ich habe nie wieder ein so scharfes Fell gesehen, so grau. Und irgendwo in der Ferne ist Oma Gina mit der Kuh. Oma Gina ist immer irgendwo mit ihrer Kuh. Und sie fragt: „Kommt ihr für Eier, wie viele wollt ihr haben“… Wie viele Eier haben wir gekauft? Mir scheint, es sind immer nur ein paar gewesen, vielleicht zwei. Und auf dem Rückweg pflücken wir Sauerampfer und kauen ihn, unsere Füße sind nass in den Sandalen und uns ist kalt, aber es ist diese warme Morgenkälte, die uns zum Wachsen treibt. Und irgendwo aus dem Busch springt Roska hervor, wir streicheln sie zum Abschied, rufen: Roska.


 

2. Insektenlandung…. 

Während er das Feuerwerk von einem shakespeare'schen Balkon aus betrachtet, erzählt er ihr die folgende Geschichte:

Ich habe geträumt, und es könnte wahr sein, beginnt er zu erzählen, während er tief in seinen Hosentaschen kramt... Ich habe geträumt, ich hätte den teuersten Diamanten der Welt gestohlen, nicht wirklich gestohlen, nur ausgeliehen, den schwarzen „Enigma“, 555,55 Karat, geschliffen in einer für klare Diamanten untypischen fünfseitigen Form, 55 Facetten, Insektenauge. „Enigma“ befand sich in einem offen zugänglichen Keller, und niemand wusste, dass es sich um einen Diamanten handelte. Denn er war schwarz und funkelte nicht. Er sah aus wie ein Stück Asphalt. Ich habe ihn aufgehoben, weil ich ihn mir in Ruhe ansehen wollte, um zu sehen, wie er das Licht absorbiert. Dann wollte ich ihn zurückgeben. Ich steckte ihn in meine Tasche und ging die Straße hinauf. Und ich lief denkend, all diese Leute haben keine Ahnung, was ich in meiner Tasche trage. Es gibt verschiedene Farben von Diamanten. Die klaren, farblosen sind die häufigsten und die gewöhnlichsten, sozusagen. Ein schwarzer Diamant ist etwas Besonderes. Er entsteht unter sehr hohem Druck unter der Erde, und in seinem Kristallgitter ist Graphit eingeschlossen. „Enigma“ (das Rätsel) ist nicht nur groß genug, um in die Handfläche zu passen, sondern ist er auch so alt wie die Erde. Wenn ich ihn in meiner Tasche trage, trage ich alles, ich trage die Erde, ich werde zum Außenseiter der Erde und der Zeit, ich stecke mich selbst in die Tasche.

 

3. Insektenlandung…

Dies ist die Geschichte des Sandflohs, der darauf bestand, auch auf der Bühne zu erscheinen, außerhalb der Saison.

Wenn zwei Personen an einem Strand nur ein schmales Handtuch zur Verfügung hätten, wie würden sie sich verhalten? Da sie sich nicht auf einem schmalen Stück Stoff nahe beieinander liegen dürfen, ihnen ist diese liebe Freiheit nicht gegeben:

 

1. Der eine legt sich auf den anderen und verdeckt ihn. So liegt nur eine Person sichtbar auf dem Tuch. 

2. Die beiden legen sich in den Sand, und zwischen ihnen ist das Handtuch leer und faltenlos. 

3. Sie werfen das Handtuch weg und tun so, als wäre es nie da gewesen, wodurch sich der Abstand zwischen den beiden dynamisch verändert. Sie rutschen hin und her, Sand in der Badehose. 

3,3. Brille, Bärte und andere Schmuckstücke im Sand.

4. Sie gehen am Strand spazieren und tun so, als wäre es ihnen nie in den Sinn gekommen, sich auf ein Handtuch zu legen, die Handtuchliegerei ist für andere, sie stehen über solchen Dingen. 

5. Weder Strand noch Handtuch, und die verschiedenen Varianten von Strand und Handtuch. 

6. Der Handtuchverkäufer kommt vorbei, aber sie kaufen kein zweites Handtuch. 

7. Der Verkäufer kommt noch einmal vorbei und beginnt sich zu ärgern, dass sie in der Zwischenentscheidung feststecken.

8. Deus ex Machina. 


 

4. Insektenlandung…

auf der Stirn eines Kindes, das von einer schwebenden Teekanne und einer Tasse im Flug umgeben ist. Das Kind kann Alice heißen, aber der Kürze halber wird es manchmal Pippilotta genannt. Das Mädchen wendet seine großen Kinderaugen dem Publikum zu und sagt, Hans Magnus Enzensberger zitierend: 

 

Wie oft soll ich es euch noch sagen! Es gibt keine Kunst ohne das Vergnügen.

 

Geräuschvolles und plötzliches Zuklappen eines Buches. Staubmotten fliegen ins Licht.

 

Nach der erfolgreichen Eröffnung der Ausstellung geht der Künstler, dem wir hier zufälligerweise Damyan Damyanov nennen könnten, eine Weile weg und kehrt mit einer exquisit gezeichneten Anleitung zum Zusammensetzen von Insekten zurück. Eine Do-it-yourself Box. Ich weiß es, er hat sie. Fragen sie ihn!

* literarische Annäherung an die Ausstellung durch eine Drittperson, wird jeweils an der Vernissage vorgelesen, kann von den Besuchenden gratis mitgenommen werden.

Zeichnungsspiel Finissage

Den letzten Tag der Ausstellung «Super Fabula» von Damyan Damyanov begiessen wir mit einem Schluck Raki und haben alle umso lockerere -rararara-hahahaha-Hände wenn es um 19 Uhr ans Zeichnungsspiel geht. Die Ausrede „nicht gut oder gar nicht zeichnen zu können“ wird durch die unglaublichen Erzähl-Sprünge, welche aufgrund ungeübter Strichführung zustande kommen, schnell entkräftigt.
Vor mir ein Stapel leerer Blätter. Ich schreibe einen Satz auf das erste Papier und gebe es dem Menschen neben mir. Dieser Zeichnet aufgrund meines Satzes ein Bid auf das nächste leere Papier. Dann verschwindet mein Satz zunterst im Stapel. Der Stapel mit der Zeichnung zuoberst wird an den nächsten Menschen in der Runde weitergegeben, der wiederum einen Satz daraus ableitet – sehr viel Spass. DOWNLOAD PDF!

Damyan Damyanov

Geboren 1982 in Sliven, Bulgarien.

Lebt, gestaltet, unterrichtet in Sofia, Bulgarien.

www.damyandamyanov.com