Vor ziemlich genau 50 Jahren wurde Joseph Beuys von der Polizei aus dem Sekretariat der Kunstakademie Düsseldorf abgeführt, welches er zusammen mit einigen seiner Studentinnen und Studenten besetzt hatte. Der Grund dafür: statt der zugelassenen Anzahl von 30 Studierenden, nahm er ohne Ausnahme alle auf, die in seine Klasse wollten. 268 Personen besuchten zwischenzeitlich Beuys Klasse, der bis zu seiner baldigen Suspendierung fast ununterbrochen vor Ort war.
An diese Geste erinnern wir uns sozusagen „en miniature“, indem wir diesen Mittwoch – gleich im Anschluss an die Eröffnung der Cantonale im Kunsthaus Langenthal – eine Jahresausstellung ins Leben rufen, die ebenfalls keine Bewerbungen zurückweist.
21 Kunstschaffende sind Teil des Experiments LOST DARLINGS, dessen Basis aus Humor (siehe Aufruf) und Neugierde besteht. Die zentrale Frage: Wer hält sich auf welche Weise geistig und poetisch über Wasser?
Während die „professionelle Kunst“ sich manchmal zu weit aus dem Bereich der persönlichen Erfahrung oder lebensalltäglichen Wirklichkeit entfernt und Gefahr läuft, sich einem intellektuellen Diskurs unterzuordnen, fehlt auf der anderen Seite der „Amateurkunst“ manchmal die Selbstreflexion, um sich in einem grösseren Bild zu positionieren. Bei LOST DARLINGS treffen diese und noch viele andere Künste aufeinander. Das Aufeinandertreffen ist überhaupt das zentrale Moment: Die Darlings (das Werk nach Wahl, mit welchem sich die Künstlerinnen und Künstler beworben haben) werden am Abend der Eröffnung mitgebracht und am vorgesehenen Ort platziert.
Was wird uns die nahe Zukunft bringen? In Anbetracht der Weltlage liegt heute sehr nahe zu sagen: we are lost.
Dies zu dementieren müssen wir anderen überlassen. Uns bleibt zu sagen: «ja, vielleicht, aber ich habe trotzdem eine Form gefunden» – eine Form etwas zu sagen, eine Form zu Leben, eine Form zu Lieben. Und eine Form um diese Formen zu teilen? Ob Gruselkabinett der bildenden Künste oder eine tolle Gruppenshow – we are LOST DARLINGS anyway – kommt vorbei und bildet euch eure Meinung oder bildet sie euch nicht und kommt trotzdem
Ist dir ein Strich auf der Leinwand gelungen oder hast du einen Satz geschrieben, der dich an einer bislang unbekannten Stelle berührte, ein Schatz, der in der schummrigen Schublade darauf wartet, ins Licht der Öffentlichkeit geborgen zu werden? Hast du einen Pullover gestrickt und am Ende gedacht: das ist mehr als ein Pullover (Ceci n’est pas un pull..)? Dann melde dich! Schick uns auf info@crmi.ch bis ende November ein Foto, das dich zusammen mit deinem Darling – in deinen Hände haltend – zeigt. Daraus folgt: Das besagte Ding oder Werk soll das Handliche nicht übersteigen. Schliesslich wollen wir möglichst viele Darlings vereinen! (die Organisator:innen behalten sich vor, in schwierigen Fällen eine Auswahl zu treffen.
Anna Schüpbach
Franca Manz
Caroline Singeisen
Caroline von Gunten
Ana Vujic
Jonas Schnyder
Elia Aubry
Loris Aregger
Benjamin Sunarjo
Anja Mikulikova
Mirco Saurer
Fabrizio di Salvo
Maria Beglerbegovic
Raphael Reift
Sapir Kesem Leary
Andreas Jenni
Tonie Bravo
Sebastian Tackmann
Dario Friberg
Tanja Schwarz
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Roger Fahndrich
Veronika Zorn
Nebst Detailangaben zu den einzelnen Werken enthält der Saalplan eine gedankliche Verortung der Ausstellung. Letzteres wird hier nochmals wiedergegeben:
21 Kunstschaffende sind Teil des Experiments LOST DARLINGS, dessen Basis aus heiterem Trotz und Neugierde besteht (das englische Wort ”curiousity“ scheint präziser). Die Beteiligten sind dem obigen Aufruf gefolgt – Abgewiesen wurde niemand. Wer seine Arbeit im erwähnten Sinn als gelungen erklärt, hat es gewagt, dem immer grösser werdenden Chaos eine Form abzuringen und sich damit sichtbar zu machen. Die Ausstellung geht der Frage nach: Wer hält sich auf welche Weise geistig und poetisch über Wasser? – in Anbetracht einer Weltlage, in der es einem oft naheliegt zu sagen «we are lost». Doch während wir ungefragt ein paar Wörter in die richtige Reihenfolge bringen, eine Farbe mischen oder etwas mit der Kamera festhalten, sind wir auf dem Weg irgendwohin, bewegen uns in eine Richtung, sind Teil eines Kollektivs, das gegen die Resignation ankämpft. Die unten aufgeführten Menschen sind, kraft ihrer Arbeiten, die bewusst unkommentiert bleiben, gewollt oder ungewollt, Teil dieses Kollektivs.
Vor mir ein Stapel leerer Blätter. Ich schreibe einen Satz auf das erste Papier und gebe es dem Menschen neben mir. Dieser Zeichnet aufgrund meines Satzes ein Bid auf das nächste leere Papier. Dann verschwindet mein Satz zunterst im Stapel. Der Stapel mit der Zeichnung zuoberst wird an den nächsten Menschen in der Runde weitergegeben, der wiederum einen Satz daraus ableitet – sehr viel Spass. DOWNLOAD PDF!